DER BERG GROOVT & DAS ABENTEUER PRISTINA
(Ein Reisebericht von Member/ Andreas Wirth)


Prolog

Der Berg Groovt ist ein musikalisches Improvisationskollektiv, welches im Großen und Ganzen aus den Bewohner zweier Wohnprojekte (LIV & PROWOKULTA) und deren Freunden besteht. Obwohl es im Prinzip eine mehr oder weniger stringente Kernbesetzung hat, fluktuiert die Besetzung doch sehr stark. Das Abenteuer, einen Auftritt in Pristina im Kosovo zu absolvieren, reizte natürlich viele, von denen dann 8 Personen tatsächlich an der Reise teilnahmen.

Nachdem wir uns organisiert hatten, teilten wir uns in verschiedenen Teilgruppen auf, die auf unterschiedliche Art und Weise in den Kosovo reisen würde. Der ortskundige Orest reiste voraus, um die nachfolgenden Gruppen zu empfangen und auch mit den Veranstaltern vor Ort in Kontakt zu treten. Die nächste Gruppe flog mit dem Flugzeug und eine dritte Gruppe fuhr mit dem Auto und nahm ein Teil unseres Equipments mit.


Ankunft in Pristina

Die Fluggruppe traf als erstes in Pristina ein. Durch Chaos bei den Fluglinien, Thomas Cook Airlines machte Pleite und riss kleinere Fluglinien, wie die Adria Airlines mit. Dadurch fielen unsere Flüge aus, wir konnten zwar noch umbuchen, hatten jetzt aber eine wesentlich längere Flugzeit mit Umsteigen und stundenlangem Aufenthalt in Stuttgart, wodurch wir erst abends statt mittags in Pristina ankamen. Wir waren Fremde in einem fremden Land. Natürlich hat uns der Taxifahrer erstmal übers Ohr gehauen, was die Fahrtkosten angeht und am falschen Ort hat er uns auch rausgelassen. Aber Pristina ist keine allzu große Stadt und wir waren schon in der richtigen Gegend also machten wir uns mit unserem Gepäck auf dem Weg zum Kino Armata, unserem Veranstaltungsort mitten im Herzen der Hauptstadt des Kosovo. Wir fragten uns durch, bekamen aber nicht immer befriedigende Auskünfte. „Where is Kino Armata?“ „Cineplex?“ „No, not Cineplex, Kino Armata.“ „There is no Kino Armata in Pristina, only Cineplex…“ Die Einheimischen schienen uns als bemühte zukünftige Kapitalisten, die uns den Weg zu ihren Glitzerpalästen weisen konnten, aber nicht zu ihren lebendigen Underground Kulturorten… Nein, sowas gibt es hier nicht… Nichtsdestotrotz dauerte es nicht lange, und wir fanden selbst unser Kino Armata, denn Orest hatte uns Gott sei Dank eine gute Wegbeschreibung gegeben und so traf unsere erste Gruppe gegen 21:30 am Mittwoch dem 25. September im Kino Armata ein.

Das Kino Armata ist ein altehrwürdiges Kino. Im Eingangsbereich würde in den nächsten Tagen ein DJ die Leute begrüßen und anlocken. Im Vorraum ist die Theke und man findet diverse Artefakte zum Thema Film und Multimedia, eine alte Super 8 Kamera, ein alter Filmprojektor ein C64 Computer aus der digitalen Steinzeit, diverse alte optische Apparate, Regale mit Büchern zum Thema, alte Ferneher usw. Schließlich kommt man in den großen Kinosal. Viel Holz und links und rechts Reihen mit gemütlichen alten Kinosesseln, und vorne eine große Bühne mit Vorbühne. Diverse Musiker aus der Türkei, Serbien und dem Kosovo haben ihre Instrumente schon aufgebaut und sind gerade noch am Pizzaessen. Wir werden freudig begrüßt und gleich zum Pizzaessen eingeladen. Wir lassen alles fallen, verstauen unser Gepäck am Rand des Kinosaals und machen uns freudig über die Pizzas her.

Während wir ankommen und unsere Pizzas essen, fangen die anderen Musiker schon an ein wenig zu jammen. Klingt irgendwie wie bei uns finden wir und sind erleichtert. Hier werden wir uns wohlfühlen und wir freuen uns schon sehr auf die kommenden Sessions, aber für heute sind wir doch sehr müde von der langen Reise. Wir bitten Vigan, einer der Veranstalter und Orest uns zu unserem Apartment zu bringen, und so machen wir uns gestärkt und ausgeruht auf den Weg zu unserem Schlafplatz.

Wir ziehen durchs nächtliche Pristina, vorbei an der Partymeile für junge Leute, eine Straße an der sich Cafe/Kneipe an Kneipe reiht, und jedes Lokal versucht sich mit seinem pumpenden Beat gegen seine Nachbarn zu behaupten. Das Klima ist mild. Die Leute sitzen alle draußen. In seiner letzten mail hat uns Orest noch gewarnt; „Hier sind es nur 10°, zieht euch warm an, aber mit uns kam auch der Sommer auf einen späten Besuch zurück in den Kosovo. Es dauerte nicht lange und wir kamen zu unserem Apartment. Es war sehr groß mit drei oder vier Schlafzimmern, zwei Badezimmern, einer Küche und ein sehr geräumiges Wohnzimmer. In diesem Apartment hätte platzmäßig die komplette Band herein gepasst. Für uns 5 schien es fast ein wenig zu groß, aber wir verabschiedeten erst mal Vigan und fielen äußerst dankbar in unsere Betten, um uns von der strapaziösen Reise zu erholen.


Der erste Tag des Festivals

Am nächsten Morgen hatten unsere Frühaufsteher schon entdeckt, daß direkt gegenüber unseres Apartments ein Supermarkt war und schon für ein Frühstück eingekauft. Nach dem Frühstück machten wir uns auf den Weg und Orest zeigte uns die Stadt. Wir besichtigten ehemalige kommunistische Prachtbauten, wie ein ehemaliges Jugendzentrum oder die Bibliothek, in der die Bildung hinter martialischen, eisernen Gestänge verborgen wurde. Wir speisten leckere Börek, tranken Kaffee und warteten ungeduldig auf den Start des dreitägigen „Monotone Music Dialogue“ Festivals. Am Ende des letzten Tages sollten wir quasi als „Headliner“ das Festival beschließen. Außerdem warteten wir auch noch auf den Rest unserer Truppe, die mit Auto und Equipment ebenfalls heute Nachmittag eintreffen sollten. Dann würde nur noch Conni fehlen, die mit ihrem Flieger erst am Samstag zu unserem Konzert eintreffen würde.

Wir warteten in einem Cafe in der Nähe des Kino Armata auf das Eintreffen unserer Freunde. Es dauerte nicht lange und sie trafen ein. Nach einer kurzen Erholungsphase zum Ankommen, während der wir ihnen das Kino zeigten und Leute vorstellten, wurde ihnen ihr Apartment gezeigt, wo sie auch erst einmal in Ruhe ankommen konnten, während wir uns schon mal in den ersten Festival Tag stürzten.

Das Festival begann mit einem Vortrag mit Bildern, kurzen Filmen und Musikausschnitten zur Tape Szene in Jugoslawien in den 70er und 80er Jahren. Nenad Vujic, ein Tape Enthusiast aus Belgrad in Serbien führte uns durch das spannende Thema.

Im Anschluss spielte die türkische Band „Guguou“ aus Istanbul, mit deren Mitgliedern wir uns in den nächsten Tagen noch sehr anfreundeten. Die Band bestand aus einem Bassisten, der seinen elektrischen Bass mit einem Essstäbchen in den Saiten spielte und sang, einem Drummer, einer Keyboarderin, die ebenfalls sang, sowie einem „heavy effected“ Gitarristen. Der Auftritt hat uns allen sehr gut gefallen, auch den anderen unserer Truppe, die mittlerweile wieder zu uns gestoßen waren.

Zwischen den Vorträgen und Auftritten stärkten wir uns immer mit dem sehr leckeren heimischen Craftbieren, die es im Kino zu verköstigen gab.

Den Abschluss des offiziellen Programms des ersten Festival Tags machte das Duo Nike Eyes, das ebenfalls aus Belgrad/Serbien kam. Sie bestanden aus einem Elektronik Musiker/DJ und einer Sängerin/Tänzerin. Zu einem Filmloop, einer Fahrt durch ein Waldbrand Gebiet, boten sie eine mitreißende Show, die den einen oder anderen aus seinem Kinosessel riss und zum Tanzen animierte.

Damit war der offizielle Teil des Abends beendet, und jetzt begann die freie Session, der eigentliche Abschluss eines jeden Tages. So endete vielversprechend der erste Festival Tag. Und wir machten uns alle - die einen früher, die anderen später - auf den Heimweg in unsere Apartments.


Der zweite Tag des Festivals

Am zweiten Tag des Festivals erkundeten wir nach einem ausgiebigen Frühstück in Vigans vegetarischem Restaurant, wo alles sehr lecker war und welches auch in den nächsten Tagen immer wieder unser Anlaufpunkt war, weiter die Stadt. Es war einfach großartig, dass Orest dabei war, der die Stadt, Land & Leute kannte. So hatten wir immer einen kundigen Führer.

Die Einwohner von Pristina bemühten sich sehr einen weltgewandt kapitalistischen Eindruck zu machen. Nahezu alle Leute trugen schicke Klamotten, abgerissen oder freakig liefen nur die Touristen herum, oder die relativ wenigen Obdachlosen, Müllanbeter oder Bettler herum. Orest erzählte uns, solange er mit uns deutsch oder englisch redete, wurde er für einen anständigen Touristen gehalten, aber sobald er albanisch sprach, hielten die Einheimischen ihn für einen Penner. Heute besichtigten wir weniger die kommunistischen Prachtbauten, sonder zogen eher an den Moscheen und Kirchen der Stadt vorbei.

Gegen Abend zogen wir wieder ins Kino, wo der zweite Tag des Festivals seinen Anfang nahm. Die Struktur des zweiten Tages war genauso wie die des ersten Tages. Es begann mit einem Vortrag, darauf folgten zwei Konzerte und schließlich endete der Tag mit der offenen Session.

Den Anfang machte Fre de Vos aus Belgien, der ebenfalls einen Vortrag hielt über die Tape Kultur der 80er Jahre, nur eben nicht nur Jugoslawische Bands, sondern ein wenig internationaler. Fre de Vos war ein schrulliger, gewitzter Typ in Trainingsanzug und mit trashigem Käppi. Er hatte uns zuvor angeflunkert, er würde einen Vortrag über Feminismus halten.

Danach kam einer der großen Highlights des Festivals. Es spielte Sholto Dobie, gebürtig in Edinburgh, lebt er in London. Seine Musik gestaltete er mit Luft Kompressoren, Ventilreglern, Plastikbeuteln, Orgel und Dudelsackpfeifen. Damit machte er eine atemberaubende Musik, experimentell und meditativ. Wir waren gebannt und verzaubert. Das letzte Konzert des Abends bestritt die Hausband – Tetris. Die Band bestand aus Vigan an seiner „Keyburg“, bestehend aus einer Armada an Vintage- Orgeln und Synthesizern, sowie einem weiteren Keyboarder/Gitarristen, einem Schlagzeuger und Orest an Blasinstrumenten und Trommeln.

Zum Abschluss folgte, wie jeden Tag die offene Session. Die Musiker kannten sich langsam immer besser und die Sessions wurden ausgiebiger und dauerten bis in die Morgenstunden.


Der dritte Tag des Festivals

Unser Auftritt rückt langsam mit Riesenschritten näher und näher und so wuchs nun auch langsam unser Lampenfieber. Der Tag startete mit einer Chaos Nachricht. Connis Flieger war gecancelt worden und sie hatte in der Not am Flughafen den einzig erschwingliche Ersatzflug nach Skopje/Mazedonien gebucht. Gott sei dank konnte Orest über eine Bekannte noch einen besseren, billigeren Direktverbindungsflug via Düsseldorf für sie buchen. Nachdem Conni dann Samstag Mittag angekommen war, konnte nun auch der letzte Tag des Festivals für uns beginnen und wir machten erst mal gemeinsam den Aufbau und Soundcheck.

Anders als die Tage zuvor, startete der letzte Tag des Festivals nicht mit einem Vortrag sondern mit zwei Kurzfilmen.

Der erste Film war „File Under Sacred Music von Iain Forsyth und Jane Pollard, welche u.a. 20 000 Days on Earth mit Nick Cave inszeniert hatten. Ein sehr interessanter Film, der einen Auftritt der Cramps in einer psychatrischen Anstalt im Jahr 1978 nachfilmt.

Der zweite Film war „The Third Part Of The Third Measure“ von „The Otholith Group“ aus England. Auch dieser Film war ein sehr spannendes Zwischending zwischen Text Performance, Minimal Music und Film.

Den Anfang der Live Performances machte der griechische Live Act „Millions Of Dead Tourists“, deren Musik uns schon vor unsrer Reise beindruckt hat. Sie spielten knochentrockenen psychedelischen Electro mit zwei E-Bässen.

Die Spannung wuchs. Es folgte unser Auftritt. Nachmittags hatten wir eigentlich noch vor, nach dem groben Soundcheck ein wenig zu jammen, um in den Flow zu kommen, aber die griechische Band wollte früh Soundcheck machen und danach waren zwei Bass Verstärker, die wir auch benutzen wollten auf der vorderen Bühne aufgebaut, und es machte keinen Sinn mehr alles wieder umzubauen. So konnten wir uns leider nicht mehr so richtig warm spielen, wie wir es uns erhofft hatten. Aber erstens kommt es anders und zweitens als man denkt…


Für den Anfang unseres Konzerts hatten wir uns überlegt, die Möglichkeiten des Kinos zu nutzen. Wir stellten eine Diashow zusammen aus den „light painting“- mäßigen Bildern, die wir bei unseren Sessions zuhause immer schossen und auf unserer „social media“ Seite posteten. Wir luden also eine Auswahl von ihnen von unserem Acount herunter, frischten sie noch mit aktuellen Bildern aus Pristina auf und stellten so eine Diashow aus eigenen Fotos zusammen.

Konzept unseres ersten Stückes war es aus der Stille zu kommen um dann stetig lauter zu werden, um schließlich wieder in Stille zu enden. Den ersten Teil des Stückes spielten wir hinter der Leinwand. Das Publikum sah nur unsere abstrakten Bilder. Auf ein Zeichen unsererseits wurde die Leinwand hochgefahren und unsere Band wurde sichtbar und auch wir sahen erst dann die Leute, die im Kino saßen. Wir hatten das größte Publikum und tosender Applaus brandete uns entgegen.

Unser restliches Konzert wurde für unser Empfinden zu ruhig. Wir waren doch sehr beeindruckt und beeinflusst durch die Musik der letzten Tage und unsere punkige und groovige Seite ging ein wenig flöten. Aber so ist das manchmal, wenn man komplett frei improvisiert. Nichtsdestotrotz haben wir gute Kritiken bekommen, auch wenn am Ende unseres Konzertes, nachdem wir den Bezug zu Raum und Zeit verloren hatten, nicht mehr so viele Zuhörer anwesend waren.

Die abschließende Session war nochmal ein inniges Abschied nehmen von dem Event, der uns die letzten drei Tage begleitet hatte.


Die letzten Tage in Pristina

Nachdem wir das Festival erfolgreich hinter uns gebracht hatten, blieben uns noch ein paar Tage, bevor wir uns am Dienstag wieder auf den Weg nach Hause machten. Wir besichtigten das selbstorganisierte Jugendzentrum Termokis und verbrachten einen wunderschönen Abend mit den Musikern von „Guguou“ und „Tetris“ auf der Veranda bzw. im Atelier von Vigan.
Wir haben uns den dramatischen Kosovo-albanischen Film Zana im Cineplex angesehen, der gerade in Pristina Premiere hatte. Die Regisseurin Antoneta Kastrati stammt ursprünglich aus Peja /Pec und lebt mit Familie mittlerweile in Los Angeles. Sie ist eine alte Freundin von Conni, und war am Samstag auch auf dem Festival im Armata.

Tagsüber wir nach Germia, ein Stadtwald und Naherholungsgebiet, um uns ein wenig von der Stadt zu erholen, bevor wir in unsere Stadt zurückflogen, um viele Erfahrungen reicher und mit der losen Idee, den Event in Istanbul zu wiederholen. Ebenso entstanden die Ideen, die Bands auch bei uns spielen zu lassen. Man darf gespannt sein, was aus diesen Begegnungen noch erwachsen wird.


Danksagung

Wir bedanken uns bei der Stadt Frankfurt für die finanzielle Unterstützung für den Kulturaustausch Crossing Bridges 2019, der unsere Teilnahme an dem Musik Festival in Prishtina und eine interessante Reise dorthin ermöglichte.